Das Durchschnittsalter (aktuell erfasst für 2020) in Deutschland liegt bei 44,6 Jahren, das in Heilbronn deutlich darunter: 42.5 Jahre. Man kann solchen Rankings folgen oder es lassen, unbestritten ist, dass sie nun mal auch Wegweiser in einer Uni-Landschaft sind, in der das Ortsschild »Universitätsstadt Heilbronn« unüberseh- bar geworden ist. Die TUM nennt das Engagement der Schwarz Stiftung »deutschlandweit einmalig«, bei gleichzeitiger Betonung, die Stiftungsmittel seien an keinerlei Auflagen gebunden. Auch ihre Pressearbeit entspricht ihrem »Exzellenz-Rang«. Die der Schwarz-Stiftung dagegen ist eher … na, ja! Liegt da noch der Schatten von Dieter Schwarz drauf, in der deutschen (nicht in der Heilbronner!) Presse wegen seiner Öffentlichkeitsscheu öfters mal als »Geheimniskrämer« bezeichnet? Es passt nicht mehr ins Heute, Informationen nach Gutsherrenart zu vergeben, die Wahrneh- mung, lokal, regional, national, international ist davon nicht mehr abhängig. Im ZEIT-Artikel war nämlich beiläufig zu erfahren, die Stiftung beabsichtige, den Bildungscampus in seiner Größe zu verdoppeln. Mit ein wenig Ortskenntnis kann man sich das Was und das Wie dazu schnell vorstellen, um dann an das Goethe-Wort zu erinnern: »Vor dem Was bedenke das Wie!« Heilbronn als »global player«! Das ist keine Vision, sondern konkretes Ziel, von Reinhold Geilsdörfer, dem Stiftungsgeschäftsführer so beschrieben (Zitat Zeit): »Wir wollen Heilbronn auf die Landkarte setzen, natürlich auf die, der internationalen Wissensstädte.« Beim nächsten Schritt werde es dann darum gehen, Heilbronn zu interna- tionalisieren, Dafür finanziere die Stiftung bereits Lehrstühle in Paris, Jerusalem und Standford, zwei für »Künstliche Intelligenz« kommen demnächst auch in Oxford hinzu. Und dann wird Geilsdörfer – wörtlich – noch mit dieser Frage an seine Pressesprecherin zitiert: »Haben wir das schon kommuniziert?« Als sie es verneint, gibt er die Nachricht frei. Soweit die Schilderung dieses »news-flashs«, für alle, die die Zeit nicht lesen, aber trotzdem wissen wollen, was auf ihre Stadt noch zukommt, Heilbronn: lokal, regional, national, international … hier schlägt der »Lidl-Faktor« auf voller Breitseite durch. Man muss kein Prophet sein: Der Neid-Faktor wird folgen. Die avisierte Zahl von 10.000 Studenten in Heilbronn (ein- schließlich Hochschule) ist noch nicht ganz erreicht, womöglich der Corona-Pandemie zuzuschreiben, aber ablesbar in Statistiken des öffentlichen Lebens ist der »Lidl-Faktor« wohl schon. Das Durchschnittsalter (aktuell erfasst für 2020) in Deutschland liegt bei 44,6 Jahren, das in Heilbronn deutlich darunter: 42.5 Jahre. Jünger sind nur die traditionsreichen Universitätsstädte Heidel- berg und Freiburg, mit der jüngsten Bevölkerung in Deutschland: 40,7 Jahre. Die Kausalität von »Universitätsstadt« und Alter der Bevölkerung ist nicht neu – genauer: Nur neu für Heilbronn. Dass die Stadt auch eine »Wohlfühlstadt« und eine »Ankunftsstadt« für junge Menschen sein möchte, ebenso auch eine »Schwarmstadt«, dazu fehlt ihr noch einiges. Was die »Schwarmstadt« betrifft: Dieses Ziel wurde zu allererst (!) in Hanix thematisiert, bevor es sich die Stadtspitze als Thema so einverleibte, als hätte man es dort erfunden. Beim Verein Wissensstadt Heilbronn e. V., ist dieser Anspruch jetzt gut aufgehoben. Zu denken gibt lediglich dies: Eine »Bildungsstadt« will man dort explizit nicht sein. Klar, der Unter- schied zwischen Wissen und Bildung ist ja auch ein elementarer, ebenso, wie ihn Roger Willemsen treffend formuliert: »Wissen vermittelt Können und gibt ein Instrumentarium. Bildung formt den inneren Menschen. Bildung hat eine moralische Komponente, sie sagt, was gut und was weniger gut ist. Bildung heißt, das zu werden, was man schon ist: nämlich ein Mensch.« Es ist schon ein wenig wie im Absolutismus: Die fürstlichen Wohltaten nimmt man an, wie sie kommen, das Beugen von Haupt und Knie entfällt im 21. Jahrhundert. Aber wundern darf man sich doch darüber, was der »Lidl-Faktor« aus der einst von einem Oberbürgermeister als »Stadt der Krämerseelen« betitelten Stadt machte und noch machen wird. Dass dabei Gemeinderat und Stadtverwaltung gelegentlich erscheinen, als seien sie nur Statisten, regt kaum jemand auf. Der Ort der lokalen politischen Willensbildung in unserer Demokratie ist der Gemeinderat. In Heilbronn ist er nicht nur im Rathaus zu lokalisieren, weitere De- tails dazu kann man sich sparen. Mit dem »Lidl-Faktor«, also den Segnungen der Schwarz-Stiftung, ist es ein wenig so, wie mit dem Moschee-Bau in Heilbronn, wenn auch mit umgekehrtem Ausgang: Im Gemeinderat finden die Abstimmungen über Bauvorhaben und die Einhaltung der baurechtlichen Vorgaben statt, aber nicht über das, was »drin« ist. Es gibt keinen Bürgerdialog dazu, nicht einmal in Andeutungen. Dabei zeigte doch z. B. die Buga 2019, wie notwendig solcher für die Akzeptanz und für das Stadtleben ist. Angst vor Kritik, wo man sich doch sonst so souverän zeigt? Warum vertut man die Chance, das bewusst zu machen, das, was schon entstand, und was noch kom- men wird. Auch jenen gegenüber, die von Haus oder von ihrem Bil- dungsgrad aus nicht in den Genuss dieser Bildungsangebote kommen werden? Auch sie sind Heilbronner und die meisten davon kaufen gewiss »im Lidl« ein. Man darf ja mal träumen: Geisteswis- senschaften in Heilbronn, in einer offenen Gesellschaft, ohne intellektuellen Hochmut? Es ist ferne Theorie, die Macht des Faktischen dagegen ist nah und da. Ein Bildungscampus, ein akademisches Disneyland, wo Träume wahr werden, mit einem Anspruch an Bau-Ästhetik, den man sich schon Jahrzehnte früher in der »Ensle-Ära« der Stadt (bei Querverbindungen, die einen Roman abgäben) gewünscht hätte, mit einem Ort, wo Geist zu Materie wird, wie etwa in der Bibliothek LIV und ihren 70.000 Medien, wo man in der Mensa selbstredend auch vegan essen kann… Also, da kommt man doch nicht nur wegen des akademischen Standards nach Heilbronn! Es geht aber auch ums Bleiben! Bis vor kurzem hingen an den Fassaden der von der Stadtsiedlung im städtischen Auftrag errichteten Miniappartement-Häuser noch die Banner mit der Aufschrift: »Zu vermieten«. An der »Wohlfühlstadt« muss man noch arbeiten, da ist Heilbronn weder lokal noch regional spitze, die Neckarmeile allein macht es nicht. Und zwanzig Dö- nerbuden am Stück zusammen mit Friseursalons für Männer mit testosteronabhängigem Zeigezwang, auch sie machen eine Stadt nicht weltläufig. Attraktives Flair, auf dem Humus einer Tradition des Wissens gewachsen, lässt sich nicht herzaubern, schon gar nicht, wenn man Orte der Kultur wie das Literaturhaus oder die Stadtbibliothek so randständig verortet. Man wünschte sich, dass auch hier der »Lidl-Faktor« greifen würde. »Spitze« wird Heilbronn sicher bald sein im Bereich »Künst- liche Intelligenz«, nachdem Heilbronn den Zuschlag erhielt für den Innovationspark Künstliche Intelligenz (KI) Baden-Württem- berg. Dass es so kam, verwundert nicht. Eher der Zungenschlag von OB Harry Mergel, so, als sei er nicht im Geflecht der Strip- penzieher dafür von Anfang an dabei gewesen: »Zukunft made in Baden-Württemberg, Zukunft made in Heilbronn. Ich danke dem Gemeinderat für die rasche Schaffung der liegenschaftlichen Voraussetzungen, Reinhold Geilsdörfer für die partnerschaft- 22 DER LIDL-FAKTOR 7 7 . r N x i n a H